Angesichts der Geschlechter-Auslöschung, die von Europapolitikern im Hintergrund betrieben, von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert und von den Medien meist kommentarlos übernommen wird, scheint es fast, als seien auch die Frauen überwiegend mit der Gleichmacherei einverstanden. Vielleicht, solange sich eine nicht klar macht, dass es eben nicht bedeutet, „dass wir alle erst Mal nur Menschen sind“, wie Alice Schwarzer in der Gender-Debatte bei Sandra Maischberger (14.04.2015) bagatellisierte. Wo bleibt das Aufbegehren der Frauen, die ihre Weiblichkeit als einzigartig wahrnehmen und schätzen? In der kritischen Patriarchatstheorie hat Prof. Dr. Claudia von Werlhof das Geschlechterverhältnis in der modernen Zivilisation mit erhellender Klarsicht analysiert. Diese an die Wurzeln gehende Betrachtungsweise macht die Hintergründe deutlich und kann ein Weckruf sein, um für ein urweibliches Selbstverständnis einzutreten.
Das Geschlechterverhältnis im heutigen Patriarchat ist weder allgemein, noch individuell ohne die Makrostruktur im zivilisatorischen Natur- und politischen
Verhältnis zu verstehen. Es ist ja nicht nur das Geschlechterverhältnis patriarchal-alchemistisch organisiert, sondern die gesamte Zivilisation, als deren Abbild es geregelt ist. Es entstammt den
ältesten Zeiten des Patriarchats (z. B. Meier-Seethaler 1992) und zuletzt der frühen Neuzeit mit ihren „Frauen als Hexen“-Verfolgungen (vgl. Daly 1991). Rein psychologische oder
verhaltenstheoretische Ansätze, wie sie meist vorherrschen, können das patriarchale Geschlechterverhältnis nicht im Entferntesten erklären, wenn sie es nicht im Zusammenhang der gesamten
Zivilisation des Patriarchats betrachten. Im Gegenteil, es muss gefragt werden, inwiefern es unter patriarchalen Bedingungen, die seit Tausenden von Jahren in der einen oder anderen Form das
Leben immer mehr – nicht weniger – bestimmen, überhaupt eine davon quasi unabhängige „Psychologie“ geben kann (My Han Derungs 2011). Es wären bestenfalls noch matriarchale Reste im
Geschlechterverhältnis aufzuspüren, die als eine Art „zweite Kultur“ (Genth 1996) vor allem aufgrund von Liebes-, Verwandtschafts- und Freundschaftsverhältnissen immer wieder zumindest
vorübergehend auftreten können, und ohne die sich die patriarchale Zivilisation wahrscheinlich gar nicht aufrechterhalten könnte. Jedenfalls ist das Geschlechterverhältnis im Patriarchat mehr
oder weniger, heute mehr denn je, geprägt von dem Versuch, die Frauen als Menschen, Arbeitskräfte, Mütter und Geschlechtswesen zu erniedrigen, zu entwerten, diversen Kontrollsystemen zu
unterwerfen und generell zu entmachten, also zu „mortifizieren“. Die Lage der patriarchalen Mütter ist eine ausweglose, nur vordergründig stehen ihnen Optionen zur Verfügung (Tazi- Preve 2004).
Die Entwicklung geht sogar dahin, in letzter Konsequenz vor allem die Mütter buchstäblich abzuschaffen. Sie sollen durch Maschinen und bis dahin Misch- und Kunstwesen, von der patriarchal
verwandelten „guten“ Mutter bis zur „MutterMaschine“ (Corea 1986), Leih- oder künstlich befruchteten, mit Implantaten und ständigen Eingriffen traktierten Teilmüttern als den „besseren“ Frauen
und Müttern „alchemistisch“ ersetzt werden (Schmölzer 2005).
Dabei versucht mann zunächst ideologisch, dann programmatisch und schließlich real die Mutter verzichtbar zu machen. Als ob das möglich wäre, wird die „Wertlosigkeit“ der Mütter und
ihrer Arbeit durch ihre Diffamierung als rückschrittlich und durch ihren Charakter als im Wesentlichen Gratisarbeit Leistende schon im Vorhinein bestätigt. Wo nach und nach die Maschine ihren
Einzug hält, gibt es keine nennenswert vergütete Arbeit, weil sie die Arbeitenden ersetzen wird oder soll. Auch als „Noch“-Mütter werden Frauen damit zunehmend in die außerhäusliche Produktion
des alchemistischen Systems gezwungen, in der ihrer Arbeit überhaupt ein, wenn auch meist sehr geringer, Wert zugesprochen wird. Denn die entwertende „Hausfrauisierung“ (Bennholdt-Thomsen u.a.
1983) gilt ja gerade auch außerhalb des Hauses. Die durch patriarchale Maßnahmen der Unterwerfung und Einbindung in die alchemistische Maschine „verbesserten“ Frauen und Mütter oder Arbeitskräfte
sind nach ihrer „Mortifikation“, also ihrer „alchemistischen“ Transformation, dann dort zu suchen, wo sie mit Maschinen zu Cyborgs, also Menschmaschinen kombiniert oder von ihnen ersetzt werden:
Arbeits-, Sex- und Gebärmaschinen. Dieser Prozess ist im „Norden“ bereits durchgängiger der Fall wie im „Süden“, wo zum Teil bzw. gleichzeitig noch mehr die vormodernen, im Prinzip aber ebenfalls
alchemistisch gemeinten Formen der Unterwerfung der Frauen gelten.
Das patriarchale Projekt sieht also vor allem den Muttermord in Gestalt der Abschaffung der
Mutterschaft und ihre Ersetzung durch i. w. S. maschinelle Verfahren vor, der die Patriarchen von ihrer Abhängigkeit von den Müttern endlich befreien würde. Das ist auch historisch auf vielen
Ebenen nachweisbar, in Mythologie, Psychologie und im Rechtssystem (Tazi-Preve 1992). Dazu müssten die Patriarchen allerdings zur männlichen Selbstschöpfung, etwa mit künstlichen Gebärmüttern,
Männern mit Uterus oder im Bereich des Post- und Transhumanismus der Roboter und Künstlichen Intelligenz, des Künstlichen Lebens der „life industries“, und der Nano- und Gentechnologie oder des
Klonens imstande sein (etwa Rifkin 1986, Schirrmacher 2001). Die dabei im Moment zu beobachtenden Tendenzen zeigen, dass es gar nicht mehr nur um die nun künstliche
Reproduktion der Gattung als solcher geht, sondern längst um ihre Ersetzung durch posthumane Kunstwesen. Nicht nur die Mutter, „der Mensch“ selber steht damit inzwischen zur Disposition. Aber es
regt niemanden auf, so sehr ist das alchemistische Denken zur Normalität geworden (z. B. Fritsche 2013).
(…) Neben dem Arbeitsplatz und der Politik ist es aber bis heute generell die moderne patriarchale Klein-Familie, in der das Geschlechterverhältnis organisiert ist,
indem es dabei seiner bisherigen modernen Hauptfunktion, der alltäglichen Reproduktion des Lohnarbeiters und derjenigen der Gattung überhaupt dient. Diese Art von Familie ist sozusagen der
generelle Ort der modernen alchemistischen Menschenproduktion. Es wird dabei im Prinzip so getan, als ob die Mutter-Vater-Kind-Dreieckskonstellation eine Naturgegebenheit und einzige Möglichkeit
der Gattungsreproduktion sei, wo sie doch das politische Konstrukt einer patriarchalen Obrigkeit darstellt (Tazi-Preve 2012). Dabei ist es logisch, dass unter patriarchal-alchemistischen
Bedingungen die Männer als „Ernährer“ und „Väter“, also zum Herrschen befugt, auftreten, und so, als seien sie selber die „Schöpfer“ der nächsten Generation. Doch ist genau das Gegenteil der Fall
- die Kleinfamilie ist der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder überhaupt. Denn als Väter und Schöpfer, etwa des Reichtums per Eroberung, gelten ursprünglich die Kriegsherren und religiösen
Herrscher, die später sogenannten „Väter der Nation“. Das verweist auf die grundsätzliche Gewaltförmigkeit der gesellschaftlichen Position des Ehemannes und Vaters in der Familie, die mit seiner
„Schöpfung“ durch Zerstörung in und außerhalb der Familie zusammenhängt. Erst die Frauenhaus-Bewegung hat die Selbstverständlichkeit der Gewalt gegen Frauen mit Erfolg skandalisiert, wenn auch
keineswegs abschaffen können.
Fotos: Dorothee Elfring; Portrait und Logo: Claudia von Werlhof